RöKo 2023 – Update MS: KI und Bildgebung

RöKo 2023 – Update MS: KI und Bildgebung

Die MRT ist zunehmend Teil der MS-Diagnostik. KI kann zeitaufwändige Diagnostikschritte wie das Bewerten der Läsionslast übernehmen – kann sie aber nicht mit klinischen Angaben in Zusammenhang bringen.

  • Präsentationstag:
    18.05.2023 0 Kommentare
  • Autor:
    kf/ktg
  • Sprecher:
    Carsten Lukas, Katholisches Klinikum Bochum, Universitätsklinikum Ruhr-Universität Bochum
  • Quelle:
    RöKo 2023

Die Bildgebung bei Multipler Sklerose (MS) ist nicht mehr nur für die Diagnostik nach Symptomatik und die Verlaufskontrolle zuständig. Sie erkennt mittlerweile auch subklinische Krankheitsaktivität. Dies erlaubt einen frühzeitigen Therapiewechsel hin zu effektiverer Behandlung – die Radiologie ist also inzwischen wesentlicher Teil des Therapiemonitorings. Dazu müssen Neurologie und Radiologie interagieren: „Der radiologischer Part ist essentiell – er liefert fünfzig Prozent der Informationen“, so Carsten Lukas, Bochum.

Differenzialdiagnosen: Zuerst ausschließen

Zwar hat die MRT die Zeit bis zur Diagnose enorm verkürzt, andererseits ist sie auch an mehr als 60% der Fehldiagnosen beteiligt (Solomon 2016). Gründe für die Fehlinterpretation oder fehlerhafte Anwendung diagnostischer Kriterien sind beispielsweise falsche Ortszuordnungen oder technische MRT-Fehler. Die Fehldiagnosen betreffen vor allem Neuromyelitis-Optica-Spectrum-Erkrankungen (NMOSD), Vaskulitis und Migräne.

Die Differenzialdiagnosen muss man also weiterhin ausschließen. Auch ein mit MRT-Basissequenzen trainierter KI-Algorithmus stieß bei NMSOD und Migräne an seine Grenzen (Rocca 2021). Allerdings differenzierte er die MS genauer als zwei erfahrende Radiologen (99% vs. 73 bzw. 82%). „Ich bezweifle aber, dass die KI bei größeren Datenmengen anderer Krankenhäuser genauso gut funktioniert“, so Lukas. Zudem sei unklar, was der Algorithmus genau identifiziert hat, denn die verwendete KI haben die Autoren nicht veröffentlicht.

Digitale Applikation: Zentralvenen-Zeichen

Wegweisend für die Zukunft könnte die KI trotzdem sein. Man könnte sie darauf trainieren, bekannte (Bio-)Marker schneller für die klinische Routine verfügbar zu machen. Als Beispiel nannte Lukas der Zentralvenen-Zeichen (central vein sign, CVS). Die zentrale Vene tritt in mehr als 99 Prozent aller T2 MS-Läsionen auf – periventrikulär und in der tiefen weißen Substanz (Tan 2000). Dass das CVS als Biomarker die Unterscheidung zwischen MS und den MS-Mimics ermöglicht, ist bereits bekannt – wenn mehr als 40% der Läsionen in der MRT ein CVS aufweisen, spricht dies für die Diagnose MS (Tallantyre 2011). Ein Machine Learning (ML) Algorithmus war nun in der Lage, das CVS im Test-Set mit 91% diagnostischer Genauigkeit zu erkennen (Maggi 2020). ML benötigte für den gesamten Datensatz vier Sekunden, ein/e Radiolog:in braucht dafür 40 Minuten. Es kommt also zu einer deutlichen Arbeitsvereinfachung. „Das könnte in die nächsten McDonald-Kriterien eingehen“, so Lukas.

Digitale Applikation: Läsionsentwicklung

„Wir müssen die Krankheitsaktivität erfassen, um eine Therapieeskalation zu erreichen“, so Lukas. Um das Fortschreiten der MS zu bewerten, werden derzeit neue oder sich vergrößernde, beziehungsweise kontrastanreichernde Läsionen erhoben. Der Cut-Off für den Progress liegt bei mindestens drei aktiven Läsionen, für das Volumen existiert kein Cut-Off. Vor allem bei hoher Läsionslast ist dieser diagnostische Prozess für Radiolog:innen zeitaufwändig und anstrengend.

Bei der Läsionsdetektion und -segmentierung können KI-Algorithmen unterstützen. Die Genauigkeit der KI liegt inzwischen bei 90 Prozent (Rehan 2022). Dies sei vergleichbar mit erfahrenen Radiolog:innen, dauere aber nur 15 Sekunden, so Lukas. Die KI ist allerdings noch nicht in der Lage, die Läsionsentwicklung mit den klinischen Angaben in Zusammenhang zu bringen. „Dazu ist die Interaktion zwischen Radiologen und Neurologen nötig“, unterstrich Lukas.

Digitale Applikation: Gehirnatrophie

MS ist nicht nur Neuroinflammation, sondern auch Neurodegeneration. Die Atrophie innerhalb der ersten fünf Jahre ist maßgeblich beteiligt am Behinderungsprogress und an der Konversion zur Sekundär-Progressiven MS SPMS (Haider 2021). Patienten mit schubförmig remittierender MS (RRMS) mit „silent progression“ zeigen eine ähnliche Atrophieentwicklung wie RRMS-Patient:innen, die zu SPMS konvertieren (Cree 2019).

„Die frühzeitige Degeneration bestimmt den Outcome des Patienten, deshalb ist es wichtig, diese Komponente zu erfassen“, betonte Lukas.

Für einen Überblick zu kommerziellen Produkten für die Atrophiequantifizierung empfahl Lukas die systematische Übersichtsarbeit von Mendelsohn (2023). Die Produkte sind oft gekoppelt mit der Läsionsquantifizierung. Sie funktionieren auf standardisierten MR-Sequenzen, ermöglichen eine zeitlich einheitliche, objektive Analyse und erfassen quantitative Parameter, beispielsweise auch das Läsionsvolumen. Strukturierte Befundung und die Nutzung von Textbausteinen ist ebenfalls möglich. Allerdings: Die Datenlage ist limitiert, die End-User-Validierung fehlt und das Normalkollektiv ist ebenfalls uneinheitlich. Größtes Problem ist aber der fehlende Cut-Off-Wert für die Atrophie. „Wir müssen hier auf eine Standardisierung hinarbeiten“, forderte Lukas. Er geht davon aus, dass die Atrophie – vor allem quantitativ – der Parameter der Zukunft wird, vor allem wenn neuroprotektive Medikamente auf den Markt kommen.

Vergütungsstruktur: ungeklärt

Zu den nächsten Herausforderungen zählt die Cross-Validierung der Anwendungen, ebenso ein angemessenes Management von biologischen und technischen Störgrößen. Das größte Problem bleibt allerdings die Vergütung. Sie ist weitgehend unklar. „Es geht darum Patienten zu helfen – und die Verfahren effektiv in des Gesundheitssystem einzufügen“, so Lukas abschließend.

Cree BAC et al. Silent progression in disease activity-free relapsing multiple sclerosis.  Ann Neurol 2019;85(5):653-66

Haider L et al. Linear brain atrophy measures in multiple sclerosis and clinically isolated syndromes: a 30-year follow-up. J Neurol Seurosurg Psychiatry 2021;92:839-46

Maggi P et al. CVSnet: A machine learning approach for automated central vein sign assessment in multiple sclerosis. NMR Biomed 2020;33(5):e4283

Mendelsohn Z et al. Commercial volumetric MRI reporting tools in multiple sclerosis: a systematic review of the evidence. Neuroradiology 2023;65:5–24

Rehan Afzal HM et al. Prediction of Conversion from CIS to Clinically Definite Multiple Sclerosis Using Convolutional Neural Networks. Comput Math Methods Med 2022:5154896

Rocca MA et al. Deep Learning on Conventional Magnetic Resonance Imaging Improves the Diagnosis of Multiple Sclerosis Mimics. Invest Radiol 2021;56(4):252-60

Solomon AJ et al. The contemporary spectrum of multiple sclerosis misdiagnosis: A multicenter study. Neurology 2016;87(13):1393-9

Tallantyre EC et al. Ultra-high-field imaging distinguishes MS lesions from asymptomatic white matter lesions. Neurology 2011;76(6):534-9

Tan IL et al. MR venography of multiple sclerosis. AJNR Am J Neuroradiol 2000;21(6):1039-42

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