Unstatistik des Monats: "Lungenkrebs-Screening rettet Leben"

Unstatistik des Monats: "Lungenkrebs-Screening rettet Leben"

Verschiedene Medien zeigen sich begeistert: Ein Lungenkrebsscreening, das angeblich Leben rettet. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass die Gesamtsterblichkeit trotz Screening konstant bleibt.

  • Datum:
    05.03.2020
  • Autor:
    S. Weiler (mh/ktg)
  • Quelle:
    RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

Euphorische Meldungen zum Nutzen des CT-Lungenscreenings

Die ÄrzteZeitung gibt bekannt: “Lungenkrebs-Screening per Low-dose-CT rettet Leben“. Springer Medizin berichtet, CT-Screening reduziere die Lungenkrebssterblichkeit um 24 Prozent bei Männern, bei Frauen sogar um 35 Prozent. Der Standard empfiehlt: „Raucher in die Röhre schicken“, denn vor allem diese würden von der Low-Dose-CT als Früherkennungsmaßnahme profitieren. „Das wären für Österreich mehr als 1.000 gerettete Menschenleben jährlich“, erklärt APA-Science. Eine Flut von Pressemeldungen erklärt, dass nun bewiesen sei, dass Lungenkrebs-Screening Leben rette und man deshalb für die flächendeckende Einführung Milliarden ausgeben sollte.

Diese enthusiastischen Meldungen beziehen sich auf die NELSON-Studie (de Koning, The New England Journal of Medicine 2020), an der 13.195 Männer und 2.594 Frauen zwischen 50 und 74 Jahren teilnahmen. Alle waren derzeit oder früher einmal Raucher. Sie wurden randomisiert in Gruppen aufgeteilt; die einen erhielten Screening auf Lungenkrebs mit CT, die anderen nicht. Nach zehn Jahren wurde ermittelt, ob Leben gerettet wurden. Was war das Ergebnis?

Die tatsächlichen Ergebnisse der NELSON-Studie

Die Ergebnisse der NELSON-Studie kann man einfach verständlich machen, indem man je 1.000 Personen in der Screening- und in der Kontrollgruppe betrachtet. Sehen wir uns einmal die Männer an. Nach zehn Jahren waren 24 Männer mit der Diagnose Lungenkrebs in der Screening-Gruppe gestorben, in der Kontroll-Gruppe waren es 32. Das ist der berichtete Wert einer um 25 Prozent verringerten Sterblichkeit.

Keines der genannten Medien berichtete jedoch, dass in der Kontrollgruppe insgesamt 130 Personen starben und in der Screening-Gruppe 132 (in der Zusammenfassung der NELSON-Studie wird das auch nicht erwähnt). Im Klartext heißt das, insgesamt wurde kein Leben gerettet. In der Screening-Gruppe starben zwar weniger Menschen mit der Diagnose Lungenkrebs, dafür mehr mit einer anderen Krebsdiagnose. Insgesamt gab es keinen Unterschied.

Die Anzahl der Menschen, die an Krebs (einschließlich Lungenkrebs) verstorben sind, ist die zuverlässigere Größe, genau wie die Gesamtsterblichkeit. Die spezifische Todesursache ist oft schwer festzustellen, beispielsweise wenn eine Person gleichzeitig Krebs in mehreren Organen hat. Die Autoren der NELSON-Studie berichten selbst, dass die Experten bei der Beurteilung, ob die Todesursache Lungenkrebs war, nur in 86 Prozent der Fälle übereinstimmten. Unter den Männern, die sich einem Lungenkrebs-Screening mit CT unterzogen hatten, starben genauso viele an Krebs (einschließlich Lungenkrebs) wie unter jenen ohne Screening. Weder in der Krebssterblichkeit noch in der Gesamtsterblichkeit hat die NELSON Studie einen signifikanten Unterschied gefunden.

Ehrliche Berichterstattung sollte auch Gesamtsterblichkeit erwähnen

Wie würde eine ehrliche Berichterstattung aussehen? Etwa so: „Die NELSON-Studie zeigte, dass von je 1.000 Männern in der Screening-Gruppe acht weniger mit der Diagnose Lungenkrebs verstorben sind (von 32 auf 24). Dafür starben in der Screening-Gruppe mehr Personen mit einer anderen Krebsdiagnose, und auch die Gesamtsterblichkeit war gleich. Es gibt keinen Beleg, dass Lungenkrebs-Screening Leben rettet.“

Die derzeit gefeierte NELSON-Studie ist nur eine Episode in einer langen Geschichte der Irreführung der Öffentlichkeit über den Nutzen von Krebs-Screening. Es ist bis heute kein einziges Krebs-Screening bekannt, das die Krebssterblichkeit (alle Krebse) oder die Gesamtsterblichkeit reduziert (V. Prasad, British Medical Journal, 2016, 352). Ein flächendeckendes Lungenkrebs-Screening würde jährlich Milliarden kosten, die man an anderer Stelle braucht. Schlimmer noch: Diese Investition würde den Patienten nichts nützen. Vorsorge hilft, Früherkennung kaum. Wenn man bereits in den Schulen junge Menschen risikokompetent machen würde, so dass sie verstehen, wie sie später zum Rauchen verführt werden, würde das wirklich Leben retten. Bildung ist die beste Vorsorge. Aber dafür wird kaum Geld bereitgestellt.

Hintergrund zur 'Unstatistik des Monats'

Mit der 'Unstatistik des Monats' hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen.

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