Röko 2021 – Zum digitalen Selbstverständnis der Radiologie

Röko 2021 – Zum digitalen Selbstverständnis der Radiologie

Von einer echten Digitalisierung sind die meisten Prozesse in der Radiologie noch weit entfernt. Michael Forsting diskutierte Arbeitsschritte, wo Digitalisierung den Workflow verbessern könnte.

  • Präsentationstag:
    13.05.2021 2 Kommentare
  • Autor:
    mh/ktg
  • Sprecher:
    Michael Forsting, Uniklinikum Essen
  • Quelle:
    RöKo 2021

„Wir sind das digitalste Fach in der gesamten Medizin“ – dieser Aussage würden wohl die meisten RadiologInnen zustimmen, so Michael Forsting, Uniklinikum Essen. Um aber kritisch zu prüfen, wie digital die Radiologie heute tatsächlich ist, legte er von Facebook verwendete Parameter an die Radiologie: Einheitlichkeit der Datenstruktur, Quantifizierbarkeit von Ergebnissen, Skalierbarkeit und Personalisierbarkeit der Prozesse.

Forstings Bestandsaufnahme vorab: „Wir sind bislang kaum digital, sondern nur elektrisch. Wir verlieren keine Daten mehr, wir können Bilder kontaktlos übertragen, und die Empfänger können die übertragenen Bilder lesen. Mit Digitalisierung à la Facebook hat das noch nicht viel zu tun.“

Fachärztliche Ausbildung individualisieren

Am Aufbau der radiologischen Ausbildung habe sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht sehr viel geändert, konstatierte Forsting. Die fachärztliche Ausbildung dauert für alle gleich lang, unabhängig vom individuellen Kenntnisstand, und die Wissensvermittlung erfolge oft intuitiv.

Digitales Lernen könnte aber ganz anders aussehen. Denkbar wäre eine einheitliche Basisausbildung – etwa über acht Monate – gefolgt von einem individuellen, adaptiven Lernprogramm: Wer besonders gut lernt, kann Lernaufgaben überspringen, während man bei Fehlern im Lernstoff zurückgeführt würde. Je nach individuellem Wissensstand ließe sich die Ausbildungszeit anpassen. „Wenn wir das irgendwann so machen wollen, müssen wir heute anfangen, die Ärztekammern damit zu konfrontieren“, so Forsting.

Digitale Anmeldung kann weit mehr

Die Einführung des RIS habe zumindest die Lesbarkeit der Anforderungen bildgebender Diagnostik deutlich verbessert, so Forsting. Von wahrer Digitalisierung des Anmeldeprozesses könne man aber erst reden, wenn Schritte wie die folgenden automatisiert erfolgen:

  • Prüfung der Indikation („’MRT Schädel, bitte mit Gehirn’ ist keine Indikation.“)
  • Prüfung der am besten geeigneten Modalität
  • Festlegung von Protokoll und Gerät
  • Planung der Untersuchungszeit und Terminvergabe

Das werde auch gelingen, war Forsting überzeugt. „Wenn ich Kostenträger wäre, würde ich eine Überprüfung der Indikationsstellung wollen.“ Derzeit bindet das Überprüfen in der Radiologie aber noch viel Zeit. Eine KI-unterstützte Kontrolle der Indikationsstellung könnte in 80 Prozent der Fälle möglich sein, schätzte Forsting. Er wolle nicht mehr in jedem einzelnen Fall mit dem Neurologen am Telefon diskutieren, ob ein Migräniker eine MRT brauche oder nicht.

„Vielleicht ließe sich unser Erfolg auch daran messen, wie viel Zeit wir noch am Telefon verbringen“, überspitzte Forsting seine Gedanken zu messbaren Qualitätsparametern. Primär gehe es aber nicht ums Beschleunigen von Prozessen, sondern um deren Verbesserung.

Einheitliche Datenstruktur

Die Einführung von DICOM erwies sich als Riesenschritt in Sachen einheitlicher Datenstruktur. Forsting erinnerte sich aber an einen Wechsel an eine andere Klinik, an der mit CT-Scannern eines anderen Herstellers gearbeitet wurde. Diese lieferten ganz andere Bilder als er gewohnt war. Zu Beginn habe er deswegen alle Gefäßstenosen falsch eingeschätzt. „Wir brauchen synthetische Bilder, die aus DICOM-Daten einheitliche Bilder machen“, sagte er, „und wir brauchen ‚wahre’ Daten“ – für die konventionelle Befundung ebenso wie für High-End-Techniken wie etwa Radiomics.

Skalierbarkeit – weniger RadiologInnen für immer mehr Untersuchungen

Mit der Einführung von RIS/PACS hat sich die Performance der Radiologie deutlich verbessert. Davor waren rund 30 Prozent der Voraufnahmen und 20 Prozent der Vorbefunde nicht mehr auffindbar. RadiologInnen waren viele Stunden mit der Suche nach fehlenden Informationen beschäftigt. Das entfällt heute.

Forsting erinnerte daran, dass die RIS/PACS-Einführung auch ein schmerzhafter Schritt gewesen sei. Nicht von allen Seiten habe es damals Beifall gegeben. „Der zweite Digitalisierungsschritt wird genauso schmerzhaft werden, aber er wird kommen.“

Denn zu erwarten seien mehr Untersuchungen pro Gerät, und eher weniger RadiologInnen bei einer steigenden Anzahl von Untersuchungen. „Dafür brauchen wir eine intelligente Vorbefundung, so dass wir uns auf die wirklichen Herausforderungen konzentrieren können“, so Forsting.

Quantifizierbarkeit von Ergebnissen

„Befunde werden auch heute noch fast ausschließlich in Prosa formuliert“, stellte Forsting fest. Es fehle an zuverlässigen Korrelationen, etwa zwischen Größenveränderung und Therapie. Das betreffe das Tumorwachstum in der Onkologie ebenso wie die Ventrikel-Beurteilung bei Hydrozephalus: „Ob ein Ventrikel zu weit ist, wird bislang eher nach Gefühl beurteilt.“

„’Normal’ zu definieren ist immer schwierig“, sagte Forsting. Ähnliches gelte beispielsweise auch für einen massiven Wirbelsäulenbefund, ohne dass der Patient überhaupt Beschwerden hat. „Da wird es immer eine Abwägung durch den Menschen brauchen“, so Forsting. Die Künstliche Intelligenz sei aktuell eher als erweiterte Intelligenz aufzufassen, die nur das Quantifizieren übernimmt und damit die RadiologInnen von ungeliebten Routine-Aufgaben entlastet.

Als Durchbruch erwies sich die Quantifizierung bei der Beurteilung von Karotis-Stenosen. Bevor sie üblich wurde, wurde viel zu viel interveniert, schilderte Forsting. Heute lassen sich die PatientInnen mit klinisch relevanten Stenosen gut identifizieren und es werden nur noch hochgradige Stenosen operiert.

Für welche Fragestellungen die Quantifizierung von Parametern tatsächlich sinnvoll sei, müssen die RadiologInnen selbst bestimmen. „Wenn wir das den Tech-Firmen überlassen, bekommen wir von denen Lösungen für Probleme, die wir gar nicht haben“, warnte Forsting.

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