RSNA 2019 – Silicon Valley greift nach dem Gesundheitsmarkt

RSNA 2019 – Silicon Valley greift nach dem Gesundheitsmarkt

Künstliche Intelligenz (KI) wird im Gesundheitswesen eine Riesenrolle spielen – schon jetzt geschehen Veränderungen in ungeahntem Tempo. Ihre Technikaffinität macht RadiologInnen zur idealen Schnittstelle von KI und Gesundheitssystem.

  • Präsentationstag:
    03.12.2019 2 Kommentare
  • Autor:
    kf/ktg
  • Sprecher:
    Sanjiv Gambhir
  • Quelle:
    RSNA 2019

Die Medizin reagiert auf Krankheit, statt sich proaktiv der Prävention zu widmen. „Das muss sich ändern“, forderte Sanjiv Gambhir, Radiologe an der Stanford University, USA. Beispiele wie die jüngst veröffentlichte Apple Heart Study, der smarte BH und die smarte Toilette zeigen, dass Veränderungen aufziehen. KI wird die Fokussierung weg von der Medizin hin zur Gesundheit weiter beschleunigen. Diagnostische RadiologInnen werden eine Schlüsselrolle spielen, um Medizin und KI zusammenzubringen.

Diagnostische RadiologInnen werden in Zukunft bei der Bewertung verschiedener diagnostischer Felder und Methoden eine integrale Funktion übernehmen.

Uhren, Spiegel und individualisierte Medizin

Das Gesundheitswesen benutzt zurzeit die falschen Anreize: Wer möglichst viele PatientInnen scannt, werde belohnt, nicht diejenigen, die PatientInnen gesund erhalten, kritisierte Gambhir.

Er und sein Team sind dabei, eine Art Werkzeugkasten für individualisierte Medizin entwickeln: Am Anfang steht das Sammeln vieler verschiedener individueller Daten – von sozioökonomischen Faktoren bis zum Genomprofil. Daraus werden für jeden Einzelnen Risikofaktoren für diverse Krankheiten ermittelt. „Das muss im Grunde schon bei der Empfängnis beginnen – unser Ziel ist, sogar schon den Fötus gesund zu erhalten“, so Gambhir.

Die ersten Geräte für diese Analysen werden am Körper getragen („Wearables“). Weitere Geräte werden dann zunehmend in die Haushalte einziehen, wo sie im Hintergrund Tag und Nacht Daten sammeln. Als ultimatives Ziel nannte Gambhir den Aufbau eines Gesundheitsportals, das dauernd mit Daten gefüttert wird. Dort wird die Datenanalyse durchgeführt: Sie soll dazu führen, dass eine Intervention im Verlauf einer Erkrankung so früh wie möglich stattfindet.

Wearables für medizinische Studien

Die im Herbst 2019 veröffentlichte Apple Heart Study (Perez 2019) kann als Beispiel dafür gelten, wie disruptiv die neuen Technologien in medizinische Studien eingreifen. Für die Studie wurden mehr als 420.000 Teilnehmende innerhalb von acht Monaten rekrutiert, Voraussetzung war der Besitz einer Apple Watch. Die Teilnehmenden luden auf ihre Apple Watch eine App, die Vorhofflimmern erkennen soll – und damit eine der häufigsten Ursachen für einen Schlaganfall.

2.161 Personen erhielten von ihrer App einen Alarm wegen Verdachts auf Vorhofflimmern, also 0,52% aller Teilnehmenden. „Das ist die größte Studie zu Vorhofflimmern, die es je gegeben hat, und die erste, die ein Wearable benutzt“, erläuterte Gambhir.

Moleküle kommen als Nächstes

Der nächste Schritt wird sich über Smartphones und Uhren hinausbewegen – hin zur Messung von Molekülen im Schweiß, in der Atemluft oder in Fäzes. „Dieser Schritt ist entscheidend, denn sobald man Moleküle messen kann, lassen sich Vorhersagen zu Gesundheitsproblemen einzelner Individuen treffen“, so Gambhir.

Die wichtigsten Orte dafür: Toilette und Badezimmer.

Smarte Toilette

Gambhir erläuterte das Prinzip der “smarten Toilette”. Es handelt sich um ein simples, hochsensibles Multiplexsystem, das in eine ansonsten handelsüblich aussehende Toilette eingebaut ist. (Bei Multiplexverfahren werden mehrere Signale gebündelt und simultan über eine Leitung oder Funkstrecke übertragen.) 

Das System würde beispielsweise Urin-, Fäzes- oder Druckanalysen durchführen und die Daten an ein großes Analysezentrum übermitteln. Bei verdächtigen Befunden würden von dort aus wiederum Kliniker informiert, die den Befund weiter betrachten und bewerten. Falls nötig, würden Betroffene dann von diesen Klinikern kontaktiert. Als Beispiele für Befunde nannte Gambhir Infektionen, Diabetes und diverse gastrointestinale Karzinome.

Der WIZE Spiegel

Google hat inzwischen mehr als 7.000 Haushalte in Europa mit seinem „Wize Mirror“ ausgestattet, der den Badezimmerspiegel ersetzt. In ihm ist eine 3D-Kamera verbaut, die zum Beispiel die Haut über längere Zeit auf kleinste Struktur- und Farbveränderungen hin scannt. Eine Software zur Gesichtserkennung identifiziert Stressanzeichen. Eine andere Kamera soll den Puls erkennen, ebenso Hämoglobinwerte. Ein weiteres Gerät misst Moleküle und Biomarker im Atem.

Projekt Baseline

Stanford nimmt zurzeit am “Project Baseline” teil. In dem Projekt haben sich verschiedene Universitäten und Patientengruppen mit dem Unternehmen verily (dem Nachfolgeunternehmen von Google Life Sciences) zusammengetan, um gemeinsam medizinische Studien durchzuführen. „Das Projekt ist eine der größten Profilstudien an Menschen“, sagte Gambhir. Allein die Eingangsuntersuchungen und -anamnese dauern 16 Stunden – wobei ein Viertel der Untersuchungen in irgendeiner Form mit Radiologie zu tun hat.

Die PatientInnen werden dann mit einer ganzen Batterie an Messgeräten überwacht, inklusive Wearables wie der Google Study Watch (die sonst nicht auf dem Markt ist) und Schlafüberwachungssensoren. Das Projekt soll zunächst Auskunft darüber geben, wie sich größere Studien am besten anlegen lassen. Erste Resultate werden 2020 erwartet.

Schlüsselrolle für RadiologInnen

“Sowohl die individualisierte Medizin als auch die individualisierte Gesundheitsvorsorge bedürfen individualisierter Diagnostik“, so Gambhir. In diese Richtung geht etwa der „smarte BH“. Er nutzt photoakustische Bildgebung, um Läsionen der Mamma darzustellen. Initial war die Methode wärmebasiert, inzwischen nutzt sie aus, dass Licht in das Brustgewebe eindringen kann und Desoxyhämoglobin bei der Absorption des Lichts ein Geräusch emittiert. Bis zu vier Zentimeter Gewebetiefe ist diese Methode einsetzbar.

Diagnostische Radiologen könnten sich zu “Diagnostiklinikern” („diagnosticians“) entwickeln, die verschiedenste Datenquellen mithilfe künstlicher Intelligenz zusammenführen. Gambhir erwartet, dass es zu einem Hoheitskampf mit den Internisten kommt, die diese Rolle wahrscheinlich ebenfalls einfordern werden.

 

Referenz

Perez MV et al.
Large-Scale Assessment of a Smartwatch to Identify Atrial Fibrillation.
N Engl J Med 2019;381:1909-17.

Vorhandene Kommentare

Durchschnittliche Bewertung 2 Kommentare

Künstliche Intelligenz verspricht für Radiologen und Radiologinnen eine aussichtsreiche Zukunft.
Das Ziel ist löblich, doch der Weg steinig. Ich höre jetzt schon die Datenschützer schreien, so viele individualisierte Personaldaten fremd zur Auswerdung verfügbar. Datensicherheit, und was passiert dann mit solch erhobenen Daten, außer Gesundheitsvorsorge. Krankenkassen / Versicherungs-Beiträge etc.

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