Bandscheibenvorfall: Dynamisches Röntgen für Therapieentscheidung
Der Vergleich statischer Bilder eines Bandscheibenvorfalls reicht oft nicht aus, um die beste Entscheidung für den Patienten zu treffen.
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Datum:12.09.2019
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Autor:K. Weinmann (mh/ktg)
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Quelle:Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt
In vielen Fällen schrumpft ein Bandscheibenvorfall mit Unterstützung schmerz- und entzündungshemmender Medikamente von allein wieder, doch in schwereren Fällen kann eine Operation nötig werden. Aber welche Methode ist bei welchem Patienten die richtige?
Eine Therapiemöglichkeit besteht darin, minimalinvasiv die ausgetretene Bandscheibenmasse zu entfernen, um den Druck auf den Nerv oder den Rückenmarkskanal zu verringern (Dekompression). Die zweite ist es, die betroffenen Wirbel zu versteifen. Dabei werden Schrauben in die Wirbelkörper eingesetzt und die beiden betroffenen Wirbel mit einer Metallkonstruktion fest verbunden. Ein riskanterer, stark invasiver Eingriff, der vor allem dann nötig werden kann, wenn sich die Wirbel in der Bewegung stark gegeneinander verschieben.
Zu oft Nachoperation erforderlich
Um zu entscheiden, welcher Eingriff nötig ist, wird meist ein Bild im aufrechten Stand und ein weiteres im nach vorn gebeugten Zustand erstellt. Wenn sich die betroffenen Wirbel dabei stark zueinander verschieben oder gar verdrehen, ist eine Versteifung notwendig – falls nicht, kann eine Dekompression ausreichen. Studien zeigen aber, dass das als Entscheidungsgrundlage oft nicht ausreicht: Bei bis zu einem Drittel der Patienten, welche die einfachere Dekompressions-Operation erhalten, muss nachoperiert werden. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass nicht bei allen Patienten, bei denen die Wirbel versteift wurden, dies wirklich nötig war. Das Problem: Die Bilder zeigen nur den Anfangs- und den Endzustand der Wirbelposition – aber nicht, was während der Bewegung selber geschieht.
Dynamische Bewegungsmuster sind entscheidend
Forschende der Universität Pittsburgh und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt konnten nun zeigen, dass sich die Wirbel während der Bewegung nicht linear verschieben. Sie erstellten bei sieben Bandscheiben-Patienten sowie sieben Kontrollpersonen derselben Altersgruppe eine kontinuierliche, dynamische Röntgenaufnahme, während die Patienten ihre Oberkörper langsam nach vorn neigten. Aus den Aufnahmen berechneten die Forscher, wie sich die Wirbel in der sagittalen Rotationsachse sowie flach zueinander bewegten. Die Resultate sind erstaunlich:
Zu erwarten wäre, was sich bei den meisten der gesunden Kontrollpersonen bestätigte, dass bei der Bewegung der sagittale Rotationswinkel und die vertikale Verschiebung gleichmäßig zunehmen. Bei einem Patienten verschoben sich paradoxerweise die Wirbel zuerst in die Gegenrichtung zur Bewegung und dann zurück zur Mitte. Während die Anfangs- und Endposition aussahen, als seien die Wirbel stabil, zeigte sich in der Bewegung eine grosse Instabilität. Bei dem Individuum hätte eine Dekompression allein nicht viel genützt, sondern es wäre eine Versteifung nötig gewesen. Die klinische Analyse hätte bei dieser Person die Instabilität massiv unterschätzt. Bei anderen verschoben sich die Wirbel kaum – rotierten während der Bewegung aber zunächst stark in die Gegenrichtung und wieder zurück.
Technologie noch nicht Klinikalltag
Das zeigt, dass die aktuelle Entscheidungsgrundlage für die Art der Operation oft nicht ausreicht – eine dynamische Beurteilung der Schädigung wäre notwendig. Allerdings gibt es weltweit erst wenige Bildgebungssysteme, um die dynamischen Bilder zu erstellen. Und die Berechnungen der Bewegungen sind sehr komplex. Bis die Geräte Klinikalltag werden könnten, so der Co-Leiter des Projekts, Ameet Aiyangar, könnte es zumindest sinnvoll sein, statt nur zwei Bilder in den Endpositionen mehrere Röntgenaufnahmen in verschiedenen statischen Zuständen zu erstellen und zu vergleichen.