Radiologie im Kampf gegen CoViD-19 – Ein Schub für Künstliche Intelligenz

Radiologie im Kampf gegen CoViD-19 – Ein Schub für Künstliche Intelligenz

Wie künstliche Intelligenz (KI) RadiologInnen hilft, die Masse der Thorax-Bilder während der CoViD-19 Pandemie zu befunden, erklären zwei KI-Experten aus Wien und Barcelona. Die SARS-CoV-2 Pandemie wird die Rolle der KI stärken. Teil 5 der ESR-Livestream-Reihe.

  • Präsentationstag:
    29.04.2020 0 Kommentare
  • Autor:
    kf/ktg
  • Sprecher:
    Angel Alberich-Bayarri, Valencia; Georg Langs, Wien
  • Quelle:
    ESR Connect

Der Einsatz bildgebender Verfahren in der Diagnostik von CoViD-19 hat sich in gut zwei Monaten Pandemie deutlich gewandelt: Inzwischen ist klar, dass sich für das Screening weder Thorax-Röntgen noch die Thorax-CT eignen.

Maßgeblich bleibt die Bildgebung aber für unklare Fälle. Außerdem wird sie immer wichtiger, um das Erkrankungsausmaß und den klinischen Verlauf einzuschätzen – hier ist die radiologische Beurteilung für KlinikerInnen häufig entscheidend.

In diesen beiden Bereichen unterstützt die KI, so Helmut Prosch, Medizinische Universität Wien.

Auch wird die CoViD-19-Diagnostik künftig herausfordernder, konstatierte Prosch. Dann, wenn CoViD-19 eine unter vielen Erkrankungen mit unspezifischen klinischen Symptomen ist, hilft KI beim Finden der richtigen Diagnose.

KI senkt Befundungszeit

RadiologInnen müssen während der CoViD-19-Pandemie eine Menge Thorax-Röntgenbilder befunden. „Wir brauchen ein objektive Zahl, die auf einen Blick die Wahrscheinlichkeit einer pathologischen Veränderung quantifiziert“, sagte Angel Alberich-Bayarri, Valencia, Spanien. Alberich-Bayarri et al. haben einen Algorithmus mittels Multilabelling Neural Network für das Thorax-Röntgen entwickelt, der die Wahrscheinlichkeit einer pathologischen Veränderung als Zahl liefert. Sie ist auf einem Verlaufsbalken visualisiert und auf einen Blick verständlich.

Die Quantifizierung durch den Algorithmus hilft außerdem, den menschlichen Bias bei der Befundung zu kappen.

Röntgen-Thorax: KI-Entwicklung unter CoViD-19-Zeitdruck

Normalerweise dauert die Entwicklung eines KI-Algorithmus 1-6 Monate und die Zertifizierung weitere 6-18 Monate. Diese Zeit galt es unter CoViD-19 Bedingungen zu verkürzen. Statt für CoViD-19 ein komplett neues Berechnungs-Tool zu entwickeln, nutzen Alberich-Bayarri et al. ihren schon bestehenden Thorax-Röntgen-Algorithmus. Er lässt sich auch bei CoViD-19 für die Wahrscheinlichkeitsberechnung pathologischer Thorax-Befunde verwenden. „Das war schon einmal hilfreich“, so Alberich-Bayarri. Im zweiten Schritt wertet jetzt eine internationale Kollaborationsgruppe CoViD-19-spezifische Merkmale aus. Am darauf basierenden Algorithmus für die spezifische Diagnose arbeitet das Team im Moment.

In diesem Zusammenhang fragte ein Zuhörer nach dem Data-Preprocessing. „Für das Training jedes der 15 Klassifikatoren arbeiten wir mit Data Augmentation, vor allem mit Rotationen und Normalisieren der Bilder“, erläuterte Alberich-Bayarri.

Thorax-CT: Superschneller Rollenwandel der KI

Georg Langs, Mathematiker an der Medizinischen Universität Wien, berichtete, welche Rollen die KI für die Thorax-CT bei CoViD-19 durchlaufen hat. Am Anfang der Pandemie wurde die KI vor allem zur schnellen Befundung von Low-Dose-Thorax-CTs eingesetzt. Aktuell gewinnt sie als diagnostische Entscheidungshilfe bei unklaren Fällen mehr Bedeutung. „Ihre Rolle verschiebt sich immer weiter hin zum Informationsgeber für die Kliniker“, unterstrich Langs. KI unterstützt dabei, den Schweregrad der Erkrankung besser einzuschätzen und hilft die am besten geeignete Behandlung zu finden. „Die Rollenverteilung ist allerdings je nach geographischer Region auch unterschiedlich“, räumte Langs ein.

Strategien der KI-Nutzung

Drei Strategien sind laut Langs für die KI in der CT-Analyse grundsätzlich gangbar:

1) Direkte Verarbeitung der Bilddaten als Unterstützung für die Diagnostik

2) Zwei-Schritt-Ansatz aus
a) Nutzung bekannter Muster – bestehende Datensätze und deren Muster aus einer großen Population bilden die Basis.
b) Klassifizierung neuer Datensätze (z.B. von CoViD-19-PatientInnen) und KI-Training basierend auf diesen Mustern.
Das Ziel: diagnostische und prognostische Einschätzungen. „Dieser Ansatz des ‚Transfer Learning‘ nutzt Userwissen viel besser als der erste“, so Langs.

3) Nutzung über die Bildgebung hinausgehender Daten. Damit ist das Einbinden weiterer klinischer Information gemeint. „Wir wissen inzwischen, dass solche klinischen Daten eine solide Vorhersagekraft besitzen“, unterstrich Langs – hinsichtlich des Schweregrads und des Verlaufs der Erkrankung. Daran arbeiten im Moment viele Forschungsgruppen.

Studien aufmerksam interpretieren

Die Geschwindigkeit der Forschung sei in CoViD-19-Zeiten essentiell, meinte Langs. Das Tempo der CoViD-19-Forschung hat aber auch Schattenseiten: Die Review-Prozesse sind außer Kraft und unüberprüfte Studien erscheinen auf Pre-Print-Servern. Das sei nicht grundsätzlich falsch, so Langs. Aber: Wer Studien liest, hat jetzt eine größere Verantwortung, die Ergebnisse selbst einzuschätzen. „Vorsicht ist bei unbalancierten Datensätzen geboten“, unterstrich Langs – wenn also beispielsweise die CoViD-Fälle einer Institution mit Nicht-CoViD-Fällen einer anderen Institution verglichen werden. Dann kann es passieren, dass für Muster-Unterschiede zwischen 'krank' und 'nicht-krank' nicht CoViD-19 verantwortlich ist, sondern unterschiedliche Parameter der Bildakquisition an verschiedenen Häusern.

Studien, die die Zusammensetzung ihrer Kohorte nicht oder nicht transparent vermitteln, sind deshalb mit Vorsicht zu genießen. „Viele Papers stellen ihre Limitationen glücklicherweise sehr transparent dar“, betonte Langs.

Er wies außerdem auf die Gefahr der Überanpassung (Overfitting) hin. Wenn genügend unterschiedliche Datensätze beim Trainingsdatenset berücksichtigt werden, lässt sich Overfitting vermeiden. Dann sind Ergebnisse nicht nur auf diverse Institutionen, sondern auch verschiedene Länder anwendbar.

Ethik

Was Zustimmung der Ethikkommissionen zu Studien angeht, berichten alle drei Wissenschaftler unisono, dass sich die Geschwindigkeit der Zustimmung oder Ablehnung einer Studie massiv beschleunigt hat.

Aktuelle Projekte

Langs wies insbesondere auf COVREG-AI hin, eine multizentrische Studie seines Instituts, die noch für Kooperationsinstitute offen ist. Sie sammelt Bild- und klinische Daten infektiöser Lungenerkrankungen, inklusive CoViD-19. Im Moment unterstützt der Studien-Algorithmus nur die Befundung. Ziel sind Entscheidungshilfen für Management und Behandlung der PatientInnen.

Weitere solide Ressourcen und Vergleichsdaten für die eigene Forschung bietet die ESR-Plattform www.eibir.org.

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