RöKo 2023 – Aufklärung, Dokumentation und Delegation

RöKo 2023 – Aufklärung, Dokumentation und Delegation

Die Fachanwältin für Medizinrecht Tonja Gaibler erläutert rechtliche Vorgaben und gibt praktische Tipps, um Haftungen zu vermeiden. Beim RöKo 2023 dreht es sich um die Patientenaufklärung.

  • Präsentationstag:
    18.05.2023 0 Kommentare
  • Autor:
    biho/ktg
  • Sprecher:
    Tonja Gaibler
  • Quelle:
    RöKo 2023

Aufklärungsfehler: Beweislast auf ärztlicher Seite

Wenn Patient:innen gegen medizinische Leistungserbringer vor Gericht gehen, steht oft eine unvollständige Aufklärung im Fokus, nicht ein Behandlungsfehler. Das hat einen einfachen Grund: Bei Behandlungsfehlern liegt die Beweislast bei den Patient:innen. Sie müssen das Gericht zweifelsfrei davon überzeugen, dass der Behandlungsfehler zu einem Gesundheitsschaden geführt hat. „Hier liegt die Hürde für Patienten ziemlich hoch“, sagte Tonja Gaibler, Fachanwältin für Medizinrecht.

Bei Aufklärungsfehlern dagegen müssen Patient:innen nur plausibel darstellen, dass sie sich eventuell anders entschieden hätten, wäre die Aufklärung korrekt erfolgt. Die Beweislast liegt auf ärztlicher Seite (§ 630 h Abs.2, S.1 BGB): Sie muss dem Gericht zweifelsfrei beweisen, dass sie korrekt aufgeklärt hat. Die Anforderungen an die Patientenaufklärung wurden vor zehn Jahren im Patientenrechtegesetz formuliert.

Aufklärungspflicht bei radiologischer Diagnostik

Aufklärung und Einwilligung von Patient:innen sind bei Kontrastmittelgabe, interventionellen und minimalinvasiven Eingriffen Pflicht, denn die körperliche Integrität wird verletzt. Darunter fällt aufgrund der Strahlenbelastung auch eine native CT-Untersuchung. Nicht aufklärungspflichtig sind hingegen Röntgen-Untersuchungen: Hier ist die Strahlenbelastung geringer. Ein kausaler Schaden ist bei einmaliger oder gelegentlicher Wiederholung einer Röntgenuntersuchung kaum nachweisbar, sagt auch der Bundesgerichtshof.

Vor Gericht: „Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht“

Standardisierte Aufklärungsbögen gewährleisten meist eine gute Dokumentation und genießen eine hohe gerichtliche Akzeptanz. Die Problematik liegt bei patientenindividuellen Punkten: Häufig wird alles besprochen, aber nicht gut dokumentiert. „Idealerweise machen Sie auf den Aufklärungsbögen handschriftliche Einträge“, sagte Gaibler. „Damit ist klar: Darüber wurde gesprochen.“ Ein gänzlich unausgefüllter Aufklärungsbogen mit Unterschrift spricht dagegen, dass wirklich ein Gespräch stattgefunden hat.

Schwachpunkte in der Dokumentation findet Gaibler häufig bei elektiven Eingriffen oder echten Behandlungsalternativen. „Echte“ Alternativen heißt: gleichermaßen gut wie die angebotene Behandlung. Gibt es die Wahl zwischen konservativer und interventionell invasiver Behandlung, muss darüber aufgeklärt werden, insbesondere bei zweifelhaften Erfolgsaussichten des invasiven Vorgehens. Auch zeitliche Alternativen sind zu besprechen, beispielsweise: Man sollte etwas machen, aber es muss nicht jetzt sein.

Zu den häufig schlecht dokumentierten Punkten bei der Aufklärung gehören auch die Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten eines Eingriffs. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bei fehlendendem Hinweis auf Dringlichkeit vor kurzem einer Klage von Patientenseite stattgegeben. Dabei hätte der ärztlichen Seite eine handschriftliche Notiz vermutlich schon geholfen: „Wenn Sie auf dem Aufklärungsbogen ein ‚dr‘ notieren, um auf die Dringlichkeit hinzuweisen, könnte das schon reichen“, sagte Gaibler. Entscheidend ist die Nachvollziehbarkeit für die eigenen Fachkolleg:innen.

Wichtig zu wissen:

Auch im Nachhinein dürfen noch Änderungen an der Dokumentation vorgenommen werden. Sie müssen nur nachvollziehbar als nachträgliche Änderungen gekennzeichnet sein. Wenn die Dokumentation elektronisch erfolgt, muss die für die Dokumentation erforderliche Software nachträgliche Veränderungen kennzeichnen. Andernfalls sinkt die Indizwirkung dramatisch, so Gaibler.

Bei fehlender Dokumentation kann der „Anbeweis“ vor Gericht eine Lösung sein. „Wenn Sie überzeugend darstellen können, dass Sie an dieser Stelle üblicherweise dieses oder jenes sagen, es aber leider nicht dokumentiert haben, kann das als Vollbeweis gewertet werden“, sagte Gaibler. Entscheidend: Der Richter/die Richterin muss überzeugt werden. So kann der Anbeweis zum Vollbeweis werden.

Häufiger Vorwurf: „Einen Arzt habe ich nicht gesehen“

Die Aufklärung ist und bleibt ein vertrauensvolles Gespräch zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin. Die bloße Übergabe des Aufklärungsbogens ersetzt das Gespräch nicht. Eine Unterstützung durch MTR oder andere Mitarbeitende ist zulässig, darf das Gespräch mit Arzt oder Ärztin aber nicht ersetzen. Die Aufklärung bleibt eine genuine ärztliche Pflicht und ist nicht delegationsfähig. „Auch wenn das BGH einmal positiv entschieden hat, als eine PJ-lerin die Aufklärung durchführte, empfehle ich das nicht“, sagte Gaibler.

Wichtig zu wissen:

Der Patient/die Patientin hat das Recht, auch nach Unterschrift die Einwilligung zurückzuziehen.

Cave: Fachfremde Aufklärung

Es ist möglich, von einem fachfremden Kollegen/einer Kollegin aufklären zu lassen. So muss der Radiologe/die Radiologin bei Kontrastmittelgabe nicht immer selbst aufklären; das kann auf Station beispielsweise auch der Chirurg/die Chirurgin tun. „Sie als Radiologe tragen jedoch die Verantwortung dafür“, so Gaibler. „Im Fall einer Anaphylaxie oder von Paravasaten bei Kontrastmittelgabe müssen Sie in der Nähe sein.“  Bei Interventionen rät Gaibler daher von einer fachfremden Aufklärung ab.

Cave: Verständigungsschwierigkeiten

Wenn der Arzt/die Ärztin nicht über die geeigneten Sprachkenntnisse verfügt, kann er/sie nicht aufklären.

Wenn der Patient/die Patientin das Gespräch nicht versteht, muss eine Sprachvermittlung hinzugezogen werden. „Das muss kein vereidigter Dolmetscher sein“, so Gaibler. Angehörige sind jedoch unter Umständen nicht geeignet; generell ungeeignet sind Kinder, denn sie neigen dazu, den Eltern unangenehme Dinge nicht zu sagen. „Besser ist es, Mitarbeitende hinzuziehen“, so Gaibler.

Mittlerweile existiert auch eine Checkliste, mit deren Hilfe sich der Arzt/die Ärztin des Verständnisses versichern sollte:

  • Ich habe den Eindruck, der Sprachmittler/die Sprachmittlerin hat mich verstanden
  • Es findet eine Übersetzung statt (feststellbar beispielsweise an der Übersetzungsdauer)
  • Wenn ich beim Patienten/ bei der Patientin rückfrage, gewinne ich den Eindruck, er/sie hat verstanden.

Bei jedem Zweifel sollte ein geeigneter Dolmetscher / eine geeignete Dolmetscherin hinzugezogen werden.

Cave: „unvernünftige Entscheidungen“ des Patienten/der Patientin

Wenn der Patient/die Patientin trotz hohen Risikos eine Behandlung ablehnt, muss dies richtig dokumentiert werden.

Aufklärung: Nicht im Flügelhemdchen

Gesetzlich herrscht über den Zeitpunkt der Aufklärung keine Klarheit. „Die häufig genannten 24 Stunden sind keine Grundlage in der Judikatur“, sagte Gaibler. „Im Gesetz steht nur: Der Patient muss die Entscheidung wohlüberlegt treffen können.“

Für Furore sorgte ein jüngst gefälltes Urteil:

Das Oberlandesgericht Bremen entschied im November 2021: Weil der Aufklärungsbogen unmittelbar nach dem Aufklärungsgespräch unterschrieben wurde, gab es keine ausreichende Bedenkzeit und die Einwilligung ist unwirksam. Die Revision zum BGH wurde zugelassen. Das BGH entschied im Dezember 2022: Hier werden überzogene Anforderungen an die Behandlungsseite gestellt. Der Patient/die Patientin muss entscheiden, wann er/sie die Einwilligung gibt. Sollte der Arzt jedoch erkennen, dass der Patient/die Patientin Zeit für die Entscheidung benötigt, oder dem Patienten/der Patientin keine Gelegenheit zum Nachdenken gegeben wird, gilt dies nicht.

„Also: Den zeitlichen Abstand zwischen Aufklärung und Einwilligung entscheidet der Patient“, so Gaibler. „Ein zeitlicher Abstand zwischen Aufklärung und Eingriff muss jedoch gegeben sein.“

Dazu sagt das Gesetz:

  • Bei einfachen, stationären Eingriffen kann am Vortag aufgeklärt werden; für die Anästhesie ist sogar der Vorabend ausreichend. Genauere Zeitangaben werden jedoch nicht gemacht. „Für schwierige Eingriffe ist der Vortag oder Vorabend definitiv zu kurz“, so Gaibler.
  • Über ‚normale‘ ambulante und diagnostische Eingriffe kann sogar am Tag des Eingriffs aufgeklärt werden. „Der Eingriff darf jedoch nicht stark risikobehaftet sein“, ergänzte Gaibler.

Wichtig zu wissen:

In Notfall- oder Dringlichkeits-Situationen entfällt die Aufklärungspflicht in aller Regel – die Zeit fehlt, der Patient ist unter Umständen gar nicht einwilligungsfähig. Hier hat die Aufklärungspflicht eine geringe praktische Relevanz. „In mehr als fünfzig Prozent aller Fälle greift diese Argumentation vor Gericht“, sagte Gaibler aus Erfahrung. „Das Unterbleiben der ärztlichen Aufklärung muss jedoch kausal sein.“

Zusammenfassung

  • An der genuinen ärztlichen Pflicht zum Aufklärungsgespräch hat sich nichts geändert
  • Grundsätzlich liegt die Beweislast einer korrekten Aufklärung auf ärztlicher Seite.
  • Wenn aufgeklärt wird, sollte auch dokumentiert werden: Handschriftliche Eintragungen auf dem Aufklärungsbogen belegen vor Gericht ein Gespräch.
  • Auch spätere, nachvollziehbare Änderungen auf dem Bogen werden üblicherweise vor Gericht anerkannt.
  • Wichtig zu wissen: In Notfällen und in Dringlichkeits-Situationen kann die Aufklärungspflicht entfallen.

Fragen & Antworten

Wann ist eine Aufklärung „abgelaufen“?

Wann der zeitliche Abstand zwischen Aufklärung und Eingriff zu groß geworden ist und eine Aufklärung wiederholt werden muss, wurde bisher nur in einem Fall vor Gericht verhandelt.  Es wurde von einer „entaktualisierten“ Aufklärung gesprochen. In diesem Fall sah das Gericht acht Wochen vor einem schweren Eingriff als ausreichend an. „Ein halbes Jahr wäre aber zu lang“, so Gaibler.

Kann die Aufklärung auch per Video erfolgen?

Ein gerichtliches Urteil gibt es hierzu nicht. 2010 wurde einer telefonischen Aufklärung in Routinefällen stattgegeben. Bei einer heute eher in Frage kommenden Aufklärung per Video dürfte aber gelten: Es muss sich erkennen lassen, ob der Patient/die Patientin konzentriert zuhört und versteht.

Muss ich den Aufklärungsbogen meiner Kolleg:innen kontrollieren?

Nein. Es gilt der Vertrauensgrundsatz. Wenn Sie aber sehen oder wissen, dass der Aufklärungsbogen nicht ausgefüllt oder die Aufklärung nicht durchgeführt wurde, müssen Sie handeln.

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